Texte über Kunst

Konzept und Malerei (2023)

Kann Malerei ein Konzept beinhalten? Malerei muss ein Konzept beinhalten! Das Konzept als Selbstzweck (Konzeptkunst) hat ausgedient. Ist Malerei als Medium überhaupt noch von Interesse? Nur dann nicht, wenn man ihre verdichtende, auch subversive Kraft ablehnt. Es wäre ein Leichtes, entzöge man so der Kunst den substantiellen und komplexen Gehalt. Ein simples Bejahen des zeitgeistigen Mainstream beschnitte jede künstlerische Innovationskraft. Der Abstand zur Gängigkeit kann nicht anders als anstrengend sein. Sollte die Kunst keine Herausforderung mehr stellen, nur noch Entertainment sein? Wenn Kunst dient, dann zur Individualisierung, nicht zur Gleichheit; zur Unterscheidung, nicht zur Gleichmacherei. Das Unvorhergesehene, das Unkontrollierbare, sollte nicht mehr Teil unseres Lebens sein? Verflachungstendenzen aller Orten sollten weiter Unterstützung erfahren?

 

Andererseits scheint die Kunst immer politischer geworden zu sein. Darstellung eines vorgefertigten Inhalts, der die eigene moralisierende Meinung und das Gefühl der Zugehörigkeit zur dementsprechenden gesellschaftlichen Blase befriedigt und bestätigt, lässt die Form eines politischen Kunstkonzepts im Argen, d. h., die infrastrukturelle Form der Kunst bleibt unpolitisch. Der Rezipient wird am Nasenring durch die Arena und die „zu erzählende Geschichte“ geführt ohne Mehrwert und ohne seine Mitwirkung zu erfordern. Vorgefertigte Ergebnisse emotionaler und moralischer Art sind kontraproduktiv für eine Kunst, die die Frage nach der Wirklichkeit stellt, die Frage nach den Parametern von Vorstellung und Wahrnehmung – und dazu braucht es eine durchdachte Form. Die gekünstelte Girlande um ein politisch-historisch unreflektiertes Nichts, das sich vielleicht noch auf die „Authentizität“ des Künstler-Ichs bezieht, verbleibt höchstens zeitgebunden. Stirbt der Künstler, stirbt auch sein Werk.

 

Als Trost zu bezeichnen, was nur Ablenkung von den Konfliktbeladenheiten des Daseins verspricht, ist in großem Maße apolitisch. Der Widerstand, der uns entgegentritt, sobald wir ins Leben geworfen sind, die Konflikte, die, werden wir älter, unser Leben mitbestimmen, erfordern ihre Sublimation/ Verdichtung durch die Kunst. Tröstung kann nur erfolgen durch Erkennen einer Wahrhaftigkeit, die unsere Isolation aufhebt. Also ist Kunst Kommunikation mit unserem Innern und dem Innern der Menschheit.

 

Kunst muss unideologisch sein. Sie kann keiner Partei angehören, noch sollte sie Parteibildung begünstigen. Die programmatischen und propagandistischen Urteile und die ihnen angeblich zugrunde liegenden „Werte“ brauchen in sie keinen Eingang zu finden. Sie dient nicht zur Unterstützung der Unmündigkeit, sondern zu deren Aufhebung. Die Notwendigkeit der Kunst besteht im Unterlaufen des angeblich Offensichtlichen, das in jedem Fall (irgendwann) in seiner unwahren Flachheit zuverlässig ein falsches Bild abgibt.

 

Um jede Beliebigkeit und Ungenauigkeit zu rechtfertigen, wird Kunstfreiheit und behauptete Originalität ins Feld geführt. Jedem sentimentalen Kitsch ist Tür und Tor geöffnet, weil nicht mehr gedacht, sondern gefühlt und geglaubt wird. Geglaubt wird an das, was gefällt, persönlich gefällt, wie man glaubt. Dabei ist nur einverleibt worden, was den anderen gefällt. Die Jagd nach dem sich ständig wandelnden Trend erhält angeblich lebendig und frisch, auch wenn er von den Profiteuren genauso willkürlich gesetzt ist wie die politische und propagandistische Korrektheit. Kriterien müssen nicht mehr gebildet werden, denn das Kriterium ist der fluktuierende Trend selbst. Dass Freiheit etwas anderes bedeuten könnte als Konsum, ist nicht mehr „darstellbar“, den vielfachen Heilungs- und Meditationsbestrebungen zum Trotz.

 

1) Unvorhersehbarkeit, Spontaneität, Zufall

 

Welches Konzept kann nun der Malerei innewohnen? Es muss ein Konzept sein, das aus der Realitätsbefragung und dem Freiheitswillen der Kreativität erwächst. Was aber ein Konzept nicht leisten können sollte: der Unvorhersehbarkeit den Existenzraum streitig zu machen. Ganz im Gegenteil: ein Konzept sollte aus den Eigenschaften, die der Wirklichkeit zugrunde liegen, erstellt werden. Und dazu zählt natürlich der Raum, den die Unvorhersehbarkeit einnimmt in hervorragender Weise. Denn, ob wir es Schicksal oder Zufall nennen – das Unerwartete prägt unsere Erfahrung von Beginn an. Es lassen sich mit zunehmender Erfahrenheit Dinge vorausahnen, aber Unwägbarkeit und Zufall schaffen es sogar, einen vermeintlich „siebten Sinn“ zu unterlaufen. So wäre also einem Lebenskonzept der ihr innewohnenden Spontaneität nicht abgeneigt, denn sie ist ihr vitales Schwungrad.

 

Alle Genauigkeit und Überlegung darf die Spontaneität nicht hindern, uns neue, unvorhergesehene Wege des Tätigseins zu eröffnen. Mit dem Konzept wird durch reifliche Überlegung zwar angestrebt, das Scheitern in der tätigen Materialität, d.h. im Prozess, zu minimieren. Aber die Unmöglichkeit, das Scheitern ganz auszuschließen, verleiht dem Konzept die notwendige Offenheit. Die Furcht vor dem Scheitern würde uns an der immer gleichen Uferstelle verharren lassen, ohne den Aufbruch zu wagen, das ersehnte andere Ufer zu erreichen. Das Andere, das Fremde, das Unvorhergesehene muss ein Konzept beinhalten, das die Realität als eigentlich unbekannt voraussetzt. Wir glauben, Dinge zu kennen, aber bei erneuter Wahrnehmung dieser Dinge offenbaren sie uns unbekannte, staunenswerte, nicht selten sogar gegenteilige Aspekte. Das Bedürfnis, sich vor Unwägbarkeiten und Unsicherheiten abzusichern, geht auf Kosten der Sensibilität. Diese ist aber unabdingbar, um die Wahrnehmung nicht zu automatisieren, zu schematisieren, zu eliminieren. Es wäre die Wahrnehmung weder zu erweitern noch aufrechtzuerhalten. 

 

2) Gesellschaftliche Relevanz, politische Bezugnahme

 

Was außer dem Zufall noch konzeptimmanent sein muss, ist die gesellschaftliche Relevanz von Kunst. Man könnte meinen, die hätte sie immer – eine Relation zur Zeit und ihren Zeitgenossen. An wen sollte sie sich anders wenden als an die Gesellschaft? Und das tut sie mit oder ohne bewusstem Willen – entwirft immer ein Gesellschaftsbild, ob gewollt oder nicht.

 

Kunst für die Dekorationswünsche und Profilierungssüchte der oberen Zehntausend ist der Demokratie unzuträglich und unwürdig. Erneut infrage gestellt und zerschossen wird die Staatsform der Demokratie, der man ein Zerreden von „Grundsätzen und Werten“ vorwirft, obwohl dieser Vorwurf nicht der Demokratie, sondern den neoliberalen Zerschießern der Demokratie und der Toleranz gegenüber ihren zu allem entschlossenen Feinden gemacht werden muss. Vielen erscheint sie als überfällige Selbstverständlichkeit. Gedankenlosigkeit, Geschichtsvergessenheit und verwahrloste Abstumpfung nahmen mittlerweile irrationale, verschwörerische Züge an. Die Gleichgültigkeit zerstört die Sorgsamkeit, die Ignoranz dominiert die Möglichkeit des Achtsamseins. Die Gleichmacherei der Mittelmäßigkeit nivelliert jede geistige Regung. Begeisterung, Überschwang, letztlich Lebensfreude sind unter dem Diktat des Spaß-Habens (am Kommerz) unter der verordneten Gute-Laune-Maske (des illusionären Karriere-Laufstegs) erstickt worden. Alles scheint immer anspruchsvoller, repräsentativ ausgefeilter zu werden; hochglänzender, technisch brillanter in seiner Erscheinungsform, nicht aber in seinem konzeptionellem Gehalt. Der fehlende Inhalt wird unter den betrugsabsichtlichen Etiketten, den geschwätzigen Geschichten, den hohlen Aufgeblasenheiten, den digitalen Sterilitäten, verborgen. Aufmerksamkeit um jeden Preis erregen, um persönliche Eitelkeit und Wichtigtuerei zu befriedigen, lassen erstzunehmende komplexe geistige und politische Fragen gar nicht erst aufkommen. Und wenn doch, werden sie sofort instrumentalisiert, um den moralischen Anstrich trendgemäß aufzuhübschen. In dieser Hinsicht ist die Kunst sehr willfährig und korrumpiert – und die Nische der „reinen“ Ästhetik ist keine Nische mehr, in der man von der politischen Relevanz der Kunst unberührt bleiben kann, ohne künstlerische Bedeutung einzubüßen. Auch die geschmeidige Dekoration und Überschminkung der gesellschaftlichen Abgründe ist ein Politikum und ein Statement: nämlich niemandem weh zu tun, um opportune Erfolge nicht zu gefährden. Bekanntlich hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Die bürgerliche Kaste schafft sich eine Kulturszene und so sind schon die (Kunst-) Studenten größtenteils Abkömmlinge dieser Kaste, wohlvertraut mit den Umgangsformen, Gepflogenheiten und sämtlichen Mitteln und Verbindungen, die ein fast reibungsloses Fortkommen ermöglichen. Nur wächst das Mittelmaß nur selten über sich hinaus; denn wer stellt seine angestammten Privilegien in Frage und fängt freiwillig bei Null an? Nicht die mögliche Erwägung, sondern die zwingende Notwendigkeit erzeugt das drängende Bedürfnis nach Veränderung. Die Undurchlässigkeit der oberen Schichten kann doch den Privileglosen zu größeren Anstrengungen veranlassen, um weiter von unten nach oben zu gelangen. Die auf sich eingeschworenen bürgerlichen Eliten erzeugen eine Kunst und den zugehörigen Kunstmarkt, der der Demokratie unzuträglich ist. Eine demokratische Kunst wäre die, die zu eigenständiger Wahrnehmung und individuellem Denken führt.

 

Für den sprichwörtlichen Elfenbeinturm, worin sich angeblich die Kunst verschanzt, steht nicht die Erschaffung poetischer, geistiger Räume und Öffnungen, die für jede Klasse so notwendig wie frische Luft oder das tägliche Brot ist (Beweis: die Musik eines Volkes!), sondern die materielle und geistige Vereinnahmung der Kunst durch die bürgerlichen Eliten. Ihre materielle Vereinnahmung besteht in der Herabminderung der Kunst zum reinen Markt- und Börsenwert – eine Vereinnahmung des Geistes ist überflüssig geworden, weil der Geist auf diese Weise vollständig eingedampft wurde. Es bräuchte einen Jesus Christus, um die Händler aus dem Tempel zu werfen. 

 

3) Bildüberflutung

 

Nach Zufall und gesellschaftlicher Relevanz wäre als dritter Punkt das Konzept der Bilderflut zu nennen – eine Realität, der man ebenfalls nicht ausweichen kann. Begegnet man ihr offensiv, entdeckt man strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen der Ikonografie der Vergangenheit und der Gegenwart. Was zunächst nur radikale Beliebigkeit erkennen lässt und man im Gefühl der Belanglosigkeit zu ersticken droht, entpuppt sich als arbeitsintensive Reise ins Innere der Bilder – man wendet sich also der Arbeit zu. Durch die Malerei beschäftigt man sich mit einer Auswahl von Bildern eingehender, das heißt, man durchforstet sie regelrecht auf einen Sinn hin, den sie endlich strukturell (und damit auch inhaltlich) offenbaren – nachdem man die Bemühung beinah als aussichtslos verloren im Ungeordneten, im Unwägbaren, im Niemandsland aufgegeben hätte. Der Prozess der Bildbefragung ist so nur in der Malerei möglich. Man verwandelt sich ein Bild an, indem man es immer wieder durch radikale Entscheidungen hinterfragt und dadurch verwandelt sich Material in Materie, verwandelt sich auch der Maler, es wird die Betrachtung noch genauer und eindringlicher. Durch Zerstörungen und Korrekturen bemerkt man Dinge, die man vorher nicht bemerkt hat – und darüber hinaus wird die Gesamtstruktur des Bildes stimmig, zeigt ihre organische Logik – fast überfallartig, nachdem lange Zeit alles in einer sinnleeren Öde verharrte.

 

Der Mensch mit seinen physiologischen Merkmalen und organischen Funktionen ändert seine Gesten über die Jahrhunderte wenig; auch wenn sich das Lesen der Gesten und damit die Übereinkunft ihrer Bedeutung nach Zeit, Kontext und Ort verschieben mag, ist ihre Verwendung immer als spezifisches Zeichen zu werten. Ein Triptychon hat formal auf Grund seiner symmetrischen Anlage eine andere Bedeutung als ein Diptychon. Ein Fußballer mit ausgebreiteten Armen mag sich von einem Priester mit derselben Geste in seinen Zielen gar nicht sehr zu unterscheiden: beide wollen die Gemeinschaft oder die Mannschaft unter einer segnenden Kraft vereinen, um ihre physische und geistige Energie zu mehren. Das magische Denken mag sich in der „modernen“ Gesellschaft unterbewusst in ähnlicher Weise bewahrt haben, wie das bei einem Menschen der Steinzeit in bewussterer Weise Anwendung fand: bei Glatteis oder Schneeverhältnissen wird der Autofahrer auf möglichst untadelige und sorgfältige Art seinen Fahrstil zu verfeinern suchen, um auf diese Weise das Fatum milde zu stimmen. Wenn nun der vermeintlich rationale Mensch erwidert, das tue der Autofahrer nur aus Vernunftgründen, muss ihm geantwortet werden, dass Vernunftgründe nur aus zwei Ursachen entstehen konnten: aus der fatalen Erfahrung des unglücklichen Scheiterns und der Erkenntnis, dass er das Schicksal nicht auf alleinige Weise bestimmen kann. Er weiß, dass er den Kräften, denen er ausgesetzt ist, verletzlich, hinfällig und ohnmächtig gegenübersteht. Besser also, er versucht, sich emotional mit ihnen gutzustellen: mit Respekt und Ehrerbietung. In Zeiten, in denen er immer drastischer Respekt und Ehrerbietung vermissen lässt, entfesselt er Kräfte, die ihn und seine gleichgeschaltet größenwahnsinnige Gemeinschaft vernichten werden. Die gesamte Umgebung wird darunter zu leiden haben und früher oder später der Zerstörung anheim- gegeben sein.

 

Die Bilderflut wird sich also, so gewaltig sie quantitativ sein mag, doch auf wesentliche Merkmale reduzieren lassen: die physiologischen, psychologischen und intellektuellen Möglichkeiten des Menschen sind immer wiederkehrend mit der entfesselten Gewalt und der des Krieges konfrontiert. Ihnen wird er trotz seiner „Intelligenz“ nicht Herr. Und so gleichen sich die Bilder, als hätten sie keinen Anfang und kein Ende. Das Existenzielle, die Passion, das Leiden sind individuell und doch gemeinschaftlich. Jeder hat Anteil daran.

 

Während des Mittelalters entwickelt sich eine christliche Ikonografie, die sich vor allem aus dem Neuen Testament speist (Christi Geburt, Kreuzigung, Auferstehung/ Mariendarstellungen, etc.). Ein ausschließlich christlich fundiertes Weltbild ging ebenso verlustig wie sich die „Spiritualität in der Kunst“ hinter die endlosen Weiten einer hohlen Abstraktion verzogen hat. Die Bilder überschwemmen zwar in großen Mengen sämtliche Kanäle – das Bild aber steht nackt und bloß für sich selbst – ohne überstülptem Gebrauchswert, sieht man von der Werbung ab. Das Bild beinhaltet eine erschreckende Leere, hinter der undarstellbare Hintergründe und Bezüge lauern. Das Bild an sich transportiert nicht länger eine Botschaft, die einem spezifischen Weltbild Nahrung zuführt, außer es wäre für einen bestimmten Zweck instrumentalisiert. Dazu bedarf es meist eines lenkenden Textes, der das Bild in den gewünschten Zusammenhang stellt und einer bestimmten Geschichte unterstellt. Zweifach bloßgestellt kann das Bild also sein: durch Kompromittierung eines mittelbaren Texts als Illustration behaupteter Geschichten, Klischees und Illusionen – oder aber durch ein Für-sich-selbst-Stehen, ohne für andere Belange herhalten zu müssen: die Botschaft ist die Kraft des Bildes selbst! Kann ein auf diese Weise entkleidetes Bild noch visionäre Qualitäten entwickeln - oder ist diese Bloßstellung sogar eine Befreiung von emotionalen Vorgefasstheiten, die die Möglichkeit zur Vision sogar (wieder) eröffnet?

 

Sämtliche Medien wollen das bewegt-flüchtige Bild oder das Instant-Bild, das schnell und kurz wirkt - und eben das digitalisierte Bild, das sämtliche Manipulationen über sich ergehen lässt, um eine betrügerische „Realität“ herzustellen. Einzig das Medium der („toten“) Malerei kann das Bild mit unabhängigem Sinn und elementarer Kraft erfüllen, die keinem bestimmten Zweck folgt.

 

Was hat die sichtbare Wirklichkeit für einen Sinn, wenn sich der Sinn oft hinter dieser Sichtbarkeit verbirgt? Zum Glück wirft sich nicht nur der Seh-Sinn der Wirklichkeit entgegen, sondern die Kombination von allen unseren Sinnen, die dann gemeinsam unser Wirklichkeitsbild prägen und uns zu einer Einschätzung veranlassen, von all dem, was auf uns einstürmt. Unglücklicherweise denkt jeder, dass sein Ausschnitt der Sichtbarkeit der einzig mögliche, der einzig wirkliche ist. Hier zeigt die Kunst ihre Daseinsberechtigung: ihr innewohnend die magische Kraft magere Eigen-Wahrnehmung zu verändern, wenn nicht zu zerstören, um deren Erweiterung zu ermöglichen.

 

Alles Vorgefertigte wird aber diese Funktion nicht erfüllen können: jede Software, alles Maschinelle, jeder Algorithmus gibt eine vorgefasste Version der Wirklichkeit wieder. Den Maschinen Empathie beibringen zu wollen, macht die Farce vollständig: man erweckt (z.B. in Japan) den Anschein von menschlicher Kommunikation - nicht mit Humor, denn das ist unmöglich - sondern mit verschiedenen Nachäffungen von Lachformen. Der Android reproduziert bestimmte Klänge, die „realistisches“ Lachen simulieren und soll so bei seinem humanen Gegenüber den Anschein von menschlicher Verständigung erwecken. Sagen wir so: simulierter „Realismus“ ist keine Wirklichkeit. Jede Wahrhaftigkeitsbestrebung wird der Lächerlichkeit preisgegeben und damit auf Dauer vernichtet, zudem die Unmündigkeit und Abhängigkeit des Menschen erhöht.

 

Die Malerei als Waffe gegen diese Vorgefasstheit, diesem Tatsachen-Schaffen von radikaler Untergrabung von Tatsachen, wird hier zu einem veritablen demokratischen Werkzeug, ein Element der Verständigung auf illusionslosem und daher hohem Niveau. Der poetische (Frei-) Raum, den die Malerei dadurch eröffnen kann, dass der Maler nicht vor Recherche und Prozess deren Ergebnisse schon weiß, entsteht, indem sie ihren eigentlichen Sinn, die Bedeutung des Bildes erst entwickelt und so frei bleibt von Vorgefasstem und Determiniertheiten. Das Bild offenbart die Notwendigkeit seines Entstehens erst nach und nach. Dadurch, dass Vorlage und Thema des Bildes konkret und festgelegt sind, ist die Entwicklung eines poetischen Raums auf der Fläche keinesfalls verstellt, sondern erweckt durch die Illusionslosigkeit des Prozesses eine notwendige Ästhetik, die ebenfalls nicht vorbestimmt ist. Der Widerspruch, die Unvereinbarkeit zwischen konkretem Thema und ästhetischem Freiraum entschwindet durch das Machen, indem das Bild schrittweise seine Autonomie entwickelt. Es entsteht ein Klang, der in bestimmten Seelen Widerhall finden könnte, falls sie die Hermetik des Bildes überwinden und anhand von Details ins Bildinnere vordringen. Da wäre dann im besten Fall die Musik des Bildes zu finden. Die Arroganz des Determinismus, des Vorgefassten, wird im Arbeitsprozess Lügen gestraft und beseitigt, denn nur die Mühen der Ebene des Nichtwissens ist Grundlage für eine ernstzunehmende Bildfindung.

 

© Harald Kille, 2023