Dass Kunst reine Propaganda sei, würde sich dann auch auf die Abstraktion oder die Konstruktion beziehen, als Propagandistin der reinen Form, die des Menschen Wahrnehmung,
und dadurch ihn selbst, verändert, oder einer mehr oder weniger spekulativen Spiritualität, die, in ihr angelegt, uns der Schicksalshaftigkeit des Seins enthebt. Demnach hätte also jede Form von
Kunst, so „rein“ sie auch sei, einen außerhalb von ihr liegenden Inhalt, wofür sie stellvertretend kämpft oder eintritt. Der Vorwurf, der figürliche, gegenständliche Künstler sei immer
propagandistisch anwendbar; der abstrakt oder konzeptionell arbeitende befinde sich dagegen in einer Sphäre der Reinheit, Unabhängigkeit von „kunstexternen Inhalten“, hätte so endlich
ausgedient.
Das Bedürfnis der Abkehr von allen menschlichen Affekten und ihren letztlich schwer kontrollierbaren Auswirkungen zugunsten einer Welt der formalen Kontrolle und entkörperlichten Abgehobenheit,
ist zwar verständlich, um den hereinbrechenden Leiden und vagen Glücksmomenten entsagen zu wollen, aber für die kreative Kunstausübung letztlich untauglich, weil sie so ausschließlich Dekor wird
und zu wenig Berührungspunkte mit dem menschlichen Dasein hat. Kreation braucht Mut zum Scheitern wie das Leben selbst.
Von dieser Abstraktion, von diesem Sehnen nach spiritueller Entkörperlichung kommend (zum Beispiel der „Ascension-Zyklus“ bezogen auf John Coltranes Werk oder ein Zyklus, der Mattisses Cut-Outs
und der Formensprache Hans Arps verpflichtet war) erkannte ich für mich mit der Zeit das Ungefähre, Unkonkrete, nicht Weiterführende – zumal ja in jeder Linie, jeder Farbsetzung, jeder
Material-Transzendierung Abstraktions- und Konzeptionsvermögen von Nöten ist. Es ist in jeder Umsetzung essenziell. Dazu kam die Überlegung, dass Kunst in jedem Fall politisch ist und sie dies
auch in inhaltlich konkreter Weise sein muss, um damit gesellschaftliche Relevanz und Resonanz jenseits der Kunstmarkt- und Elfenbeinturm-Szene zu erreichen.
Sogar die sogenannten abstrakten Expressionisten mit ihrem vorherrschenden Dogma von der Abstraktion als einzig zukunftsweisendem Weg, hatten in ihren Reihen „Abweichler“, die nicht zwischen
Figuration und Abstraktion trennen wollten: Pollock, Rothko, de Kooning, Guston; die eine figurlose Zukunft nicht akzeptieren konnten, zumal ihnen eine politische Polarisierung zwischen der
freien Welt der Abstraktion des Westens und der figurativ-sozialistischen Realität des Ostens und ihre Instrumentalisierung im „Kalten Krieg“ nicht recht sein konnte, da sie vielfach oder
mehrheitlich zum Kommunismus, nicht zum Kapitalismus neigten, dem „American Way of Life“ also kritisch gegenüberstanden.
So wie etwa Philip Guston entwickelte ich auf andere Weise eine neue Sprache, die die modernen Konsequenzen mit der alten Malerei verbanden, um uninstrumentalisierbar politische Inhalte und die
Frage nach der Realität wieder ins gemalte Bild zu bringen. Das bedeutete also, einen nicht- propagandistischen Weg einzuschlagen – denn das Gegenteil hätte die künstlerische Freiheit zur
Disposition gestellt und die Unabhängigkeit der Kreativität zerstört. –
Es ist wahr: die Zweifel an der Existenz einer Wahrheit an sich wurden gesät durch den ostentativen Verweis, dass es sie in objektiver Erscheinungsform nicht gibt. Dass jede Wahrheit subjektiv
und damit spekulativ ist, ist zur Binsenweisheit geworden, hinter der man sich bequem zurücklehnen kann. Jetzt allerdings, wo die Fake News-Päpste, die rechtsradikalen Verschwörungstheoretiker
und „links“-korrekten NervtöterInnen jede Wahrheit im Mund verdrehen, ist alles Zurücklehnen durch Empörung und Zurückweisung zu ersetzen.
So will ich auch der These, alle Kunst sei Propaganda, widersprechen. In meinem Sinne ist gute Kunst, das heißt, die, die über die Zeit hinausragt, im Kern un-propagandistisch. Sie ist frei von
Botschaften, seien sie positiv oder negativ, sie ist frei von „Schönheit“, die die Hässlichkeit ausschließt. Ein Bild muss gleichzeitig These und Antithese verkörpern, sonst ist es höchstens ein
Plakat, aber kein Bild; sonst ist es Kitsch für die in Unmündigkeit Gehaltenen, kein Gegenstand, mit dem eine existenzielle Auseinandersetzung möglich wäre. Ein Bild zielt immer auf das Ganze
(der menschlichen Existenz). Mag mehrheitlich die Aufnahme des Plakats, des Designs, der Popkultur und des Kitsches in den Kunstkanon als Erweiterung des Kunstbegriffs gelten, so ist sie doch oft
das Gegenteil: Polarisierung auf Teilaspekte des menschlichen Daseins, das in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit gar nicht erfasst werden will. Sie ist somit eine Kunst der Ausblendung, der
Verflachung, der Simplifizierung, die möglichst noch mit der Adelung zur Großtugend der „Reduktion“ erhöht wird.
Das Einfache ist schwer zu machen, hört man häufig dann, wenn Simplifizierung proklamiert wird: alles andere diene einer obszönen Elitebildung, die den Grundsatz der Gleichheit mit Füßen trete.
Man solle da abholen, wo sie sind, die Menschen. Arrogant alles, was mehr wolle. Sollte der Ehrlichkeit halber nicht gesagt werden, dass sie da bleiben sollen, wo sie sind? Nämlich bei null und
weniger. Je weniger sie haben und wissen, desto manipulierbarer sind sie. Abfall kann wenigstens Abfallwirtschaft, Masse zur manipulierbaren Masse werden. Geld kann mit allem und allen gemacht
werden. –
Geld machen ist aber nicht das (ausschließliche) Anliegen von Kunst. Kunst ist penible Wissenschaftlichkeit und aufwendige Konkretion, Erweiterung der sinnlichen und intuitiven Erfassung
spektraler Bereiche und Möglichkeiten. Und das ist zu komplex zur Public Relation-Anwendung, zu vielschichtig zur Instrumentalisierung für einen bestimmten Zweck, zu sehr im geistigen Bereich
verankert, um der (kommerziellen) Profanisierung zu dienen.
© Harald Kille, 2020
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